Warum „du bist doch nicht normal“ was Gutes ist

 

Klar bin ich nicht normal. 1.93 groß, Linkshänder, depressiv, liebt klassische Musik aber interessiert sich null für „Saufen gehen unter Männern“ was meine Alterskohorte zumindest in meinem Umfeld nach wie vor zelebriert. Mag kein Fußball, schaut kein TV mehr. Ich könnte ganz schön lange so weiter machen.

Vor meinen Therapien, vor jenem Tag vor mittlerweile 7 Jahren hab ich mir oft gewünscht, so zu sein, wie die anderen. Aber immer, wenn ich versucht hab, mich da einzufügen, ging das grandios schief oder machte so gar keinen Spaß, dass ich es meist schnellstens wieder gelassen hab.

„Irre, wir behandeln die Falschen“ von Dr. Lück war ein Augenöffner. Viel mehr aber die ganzen Therapien in den Kliniken, mit meinen Verhaltenstherapeuten und in die wunderbaren Gespräche mit meinen „Mitbekloppten“. Nein „In der Klapse sind die normalen Menschen, die mit dem Wahnsinn da draußen nicht mehr fertig werden. “ hab ich damals getwittert und das ist zu meinem meistkolportierten Tweet geworden. Weil es einfach stimmt. Trump, Putin, Showstars, Politiker alle gelten als völlig normal. Und Millionen von Menschen folgen ihnen, halten all die Lügen für richtig. Trump lügt, wenn er den Mund aufmacht, aber wie will man Lügner therapieren, wenn sie doch offensichtlich gesellschaftlich akzeptiert sin? Man kann ja nur behandeln, was gesellschaftlich nicht für normal gehalten wird. Bzw. so denken viele, die uns „Bekloppte“ als gefährlich, zumindest aber merkwürdig ansehen. Dabei ist oft die merkwürdigste Gestalt, die morgens im Spiegel. An der heutigen Gesellschaft nicht zu verzweifeln ist schon fast in sich pathologisch.

Wir vernichten sehenden Auges den Planeten, der unser einziges Zuhause ist und der Politik fällt nichts besseres ein, als mehr vom gleichen Mist. Und das sollen wir dann für normal, für logisch halten, dabei ist es doch nur noch irre.

Es kann so nicht weitergehen und vielleicht steckt die Lösung eben nicht in der Normalität, vielleicht müssen wir „Anders seienden“ mal lauter werden, um die Normalen auf ihren legalen Wahnsinn hinzuweisen.

Auf die Idiotie des Sparens bis alles kaputt ist, auf Empfehlungen, man solle doch mit Holzpellets heizen, die für die Umwelt eben nicht eine gute Alternative sondern ebenso schädlich sind, wie z.B. Kohle und Öl.

Ich würde aus „Irre, wir behandeln die Falschen“ weitergehend. „Irre, wir hören auf die Falschen“ machen.

Der Wahnsinn ist da draußen. Und dass ich eben anders bin, ist für mich mittlerweile kein Makel mehr, sondern Rettung vor dem Wahnsinn, den andere für vernünftig und richtig halten. Übrigens halte ich die Arbeitswelt nach wie vor für einen Kindergarten für Erwachsene (auch wenn ich dafür einen der berühmten Drohbriefe bekommen habe), denn solange ich jemanden über mir habe, der bestimmt, wie ich mich zu verhalten habe, wie ich meine Arbeit erledigen soll, ist das eine ähnliche Machtposition wie in Kindergarten und oft auch noch in der Schule. Wir sind Erwachsene, die in der Regel wie ungehorsame Kinder behandelt. Ärgerlich nur, dass dank Corona nicht nur ans Licht kam, das in etwa 75 Prozent durchaus mit Freude von unterwegs oder zuhause arbeiten, statt in einem lauten, anonymen und stressigen Großraumbüro unter Dauerbeobachtung. Noch ärgerlicher war wohl nur, dass es in den allermeisten Fällen auch noch funktionierte und der Laden weiterlief, als gäbe es weder Corona noch Home Office.

Fazit:

Genau genommen habe ich in den Kliniken nicht gelernt, mein „anders sein“ abzulegen, sondern den Wahnsinn besser verkraften zu können.