Wieder mal wird die „dieses Internet ist ja so böse“ Sau durchs digitale Dorf getrieben. Dieses Mal in Gestalt eines Artikels in der ZEITmit dem vielsagenden Titel: Digital Detox, ein Leben nach dem Internet, jetzt!
Ein Beitrag, so tendenziös und anmaßend, so bevormundend und schlecht recherchiert, wie eigentlich alles, was sich sinnvollerweise kritisch mit der digitalen Welt auseinanderzusetzen vorgibt.
Ja, auf Grund meiner Depression und einer Diagnose einer Therapeutin habe ich mal 4 Wochen auf das Internet verzichtet. Es ging ohne Probleme. Aber im Gegensatz zu manch anderen, die von einem völlig neuen Leben schwärmen, hat sich bei mir nichts verändert. Nichts wurde besser oder schlechter. Einiges vielleicht komplizierter.
Nein, auch vor dem Smartphone hatte ich keinerlei Interesse, von wildfremden Menschen in der Straßenbahn angesprochen zu werden. Mein Umfeld nutzt zu 100% ein Smartphone aber ich sehe niemanden, der permanent in Gesellschaft auf sein Smartphone starrt oder nicht zuhört, weil er gerade eine Nachricht schreibt.
Der Artikel erinnert mich sehr an Spitzer. Einfach mal ein paar Behauptungen in den Raum stellen, die auf größtmögliche Zustimmung stossen. Dabei ist die Aussage, dass das Internet uns krank macht, sowohl belegt, als auch widerlegt. Es kommt wie bei allem auf die Art der Verwendung an. Wenn ich aber mit den digitalen Angeboten nicht umgehen kann, dann ist es eben keine valide Lösung, diese Angebote verbieten, dämonisieren zu wollen.
Das Internet ist eine Technologie, die nicht alleine dadurch gefährlich wird, dass ich sie nicht bedienen kann. Wenn ich so wenig Selbstkontrolle habe, dass ich beständig aufs Smartphone schaue, dann dürfte diese Selbstkontrolle möglicherweise auch in anderen Bereichen nicht vorhanden sein.
Mir hat das Netz zwei Mal das Leben gerettet, ich habe Online gegen ein Psychiatriegesetz eine Petition gestartet, die sehr erfolgreich war und bin erst dadurch zum Buchautoren geworden, dass ich auf Twitter aktiv war und bin.
Bitte, wenn schon so ein Artikel, dann nicht „wir“ und „man“, sondern „ich“. Das Ganze ist die durchaus berechtigte Sichtweise der Autorin, aber beileibe nicht Fakt oder belegtes Wissen. Die Studien zur Digitalisierung finden wie in so vielen anderen Bereichen erst statt und es werden immer wieder positive wie negative Effekte entdeckt. Jüngste Studien belegen zum Beispiel eben auch, dass Social Media Menschen mit psychischen Problemen helfen kann.
Ein Schelm, der hier „Unterstützung fürs eigene Buch“ denkt.
Oh, und hier ein paar Quellen mit einer etwas anderen Sicht. Natürlich gibt es auch negative Effekte und bei Depressionen sich mit andern auf Social Media zu vergleichen ist das Dümmste, was man tun kann. Aber man kann eben auch austauschen, Hilfe geben und erhalten, man kann sein Leben gerettet bekommen:
We’re told that too much screen time hurts our kids. Where’s the evidence?
Psychische Krankheiten auf Social Media, weg mit dem Stigma
Why it’s high time you ditched that digital detox nonsense
Why a digital Detox is bad for us
Brinkert/Metzelder-Kampagne: Mit VR-Brille in Robert Enkes Gefühlswelt eintauchen
Bayerisches Psychiatriegesetz: Ein Jahr nach dem Eklat
Über 80.000 Unterschriften gegen bayerisches Psychiatriegesetz (Am Ende waren es knapp 150.000)
„Abhängigkeit von sozialen Medien gibt es nicht“
Microblogging and the value of undirected communication
Online-Therapie bei Depression“Man merkt wieder, dass man etwas schafft“
Das sind genauso wenig repräsentative Sichten wie die Gegenseite, aber dieses tendenziöse Bashing, gepaart mit dem erzieherischen Zeigefinger und der messiatischen Art, alles Digitale zu dämonisieren hilft nicht weiter. Digital is here to stay. Vielleicht sollten manche den Umgang damit besser lernen, als ihn zu verdammen. Natürlich gibt es negative Auswirkungen, aber hey, die gibts auch beim Auto, beim Fernsehen, beim Essen, hey, beim Leben selbst.. Also? VERBIETEN! ALLEN!
Oder vielleicht doch nachdenken, was man tut, lernen, sich weiterentwickeln? Wir haben den Zug überlebt, das Fernsehen, das Telefon…