Was mir sehr schmerzhaft in den Kliniken vor Augen geführt wurde und es immer noch wird ist, welche teilweise großen Chancen ich in meinem Leben verpasst habe. Es gab einmal die Gelegenheit, nach Seattle zu gehen und dort bei Microsoft zu arbeiten. Ich hätte bei IBM in der Forschung bleiben können oder was eigenes aufziehen. Was dagegen gesprochen hat? Meist nur meine Angst vor dem eigenen Mut und vor der Möglichkeit des Scheiterns. Ich bin nicht wirklich traurig darüber, auch wenn ich mir manchmal vorstelle, welche Wege mein Leben hätte nehmen können.
Immerhin hab ich einen Hochschulabschluss, zwei Menschen wissentlich das Leben gerettet und zumindest nach deren Feedback vielen meiner Leser*innen bei dem Kampf gegen ihre Ängste und Depressionen geholfen.
Ich war diverse Male auf der Bühne und im TV und habe ein Buch geschrieben, aus dem sogar ein Hörbuch wurde, das in der überwiegenden Mehrheit sehr gelobt wird.
Und ich habe gemeinsam mit Kristina sehr erfolgreich eine Petition gestartet, die es sogar mit geschafft, ein Gesetz zu stoppen.
Dennoch hat mich meine Angst und die Depression an vielem gehindert. Sie hat mich oft Erreichtes und Schönes vergessen lassen und die Verhörlampe auf das gerichtet, was nicht so gut lief, was rückblickend falsch war. Ähnliche Gedanken spiegeln mir auch immer wieder meine Leser*innen wieder.
Aber ich sehe das Ganze mittlerweile anders. Ich blicke nicht mehr auf die Vergangenheit als eine Ansammlung verpasster Chancen. Es war und ist mein ureigenes Leben und wie bei jedem anderen Menschen auch, habe ich mal gute, mal schlechte Entscheidungen getroffen. Ich bin sehr glücklich verheiratet, habe drei tolle Kinder, lebe sicher unter dem eigenen Dach mit genug von allem, was man braucht. Letztlich definiert sich Glück nicht aus Leistungen sondern aus dem, was man wertschätzt, aus dem, was man oft nicht mal als wertvoll erkennt.
Meine größte Erkenntnis in den Kliniken war, dass ich vieles erreicht und gut gemacht habe, dass ich sagen kann, es gibt kleine Momente, in denen ich die Welt zumindest für ein paar Menschen besser machen konnte.
Jeder von uns hat Chancen im Leben. verpasst, jeder von uns weiß sicher zig Lebensmomente, an denen eine andere Entscheidung das Leben hätte vollständig anders aussehen lassen können. Aber das ist ein Rückblick, den wir jetzt werten, obwohl wir ihn in der damaligen Situation betrachten müssten, was das Ganze oft relativiert, weil man dann doch erkennt, dass man mit dem damaligen Wissen und den Lebensumständen oft die bestmögliche Entscheidung getroffen hat.
Wir alle tendieren dazu, zu hinterfragen, ob wir im Leben alles richtig gemacht haben. Aber Achtung, Spoiler Alert. Nein, sicher nicht. Wir alle haben Fehler gemacht, machen sie heute und werden sie Morgen machen. Wir segeln durch unser Leben ohne Seekarte und Kompass, wir reisen auf Sicht. Und viel zu oft verpassen wir beim Blick in die Vergangenheit oder die Zukunft, dass lediglich das jetzt der Moment ist, den zu beeinflußen wir in der Lage sind. Sicher, eine gewisse Vorsorge ist gut und so manche Erinnerung lässt sich nicht so einfach eliminieren, weil sie uns eben zu dem gemacht hat, was wir heute sind.
Aber so klischeehaft „Carpe Diem“ also nutze den Tag klingen mag. Es ist in den allermeisten Fällen die einzige Chance, die wir haben.