Einer der Fakten, den wohl nur diejenigen begreifen, die nicht nur gegen Bezahlung im Netz arbeiten, sondern auch das Netz als Teil ihres Lebens integriert haben.
Während Management und Qualitätssicherer, Controller und Projektleiter stets auf 100% Qualität bedacht sind (oder zumindest darauf, dass alle Prio 1 Fehler wenigstens zu Prio 2 Fehlern gemacht wurden) weiß der langjährige Internetbewohner, dass eigentlich alles Beta ist. Diverse Anwendungen erscheinen schon im Alpha Stadium, dann im closed Beta, dann Beta und werden daraus nie in einen endgültigen Zustand des „Releases“ kommen. Einfach deshalb, weil das Netz hochgradig dynamisch ist.
Meiner Ansicht nach müssen wir uns wieder vom Dogma der Releasezyklen verabschieden. Oder wie es z.B. mittlerweile bei ubuntu angedacht wird, die rollierenden Updates realisieren. Ist eine Anwendung, eine Lösung so weit, dass sie weitestgehend funktioniert, dann wird sie veröffentlicht und es gibt dann weitere Updates, neue Feature etc. Würde Google immer auf den endgültig abnahmebereiten Stand warten bei Anwendungen wie Google+ oder ähnlichen, ich wage zu bezweifeln, dass dann jemals zur rechten Zeit etwas auf den Markt gekommen wäre. Aber die meisten Unternehmen testen und zögern noch so lange, bis das, was sie dann endlich im Netz anbieten schon hoffnungslos veraltet ist. Bis dann ganz andere Branchen bereits den Markt betreten haben mit Beta Software, und die Kunden sich bereit abgewandt haben.
Die endlosen Abstimmungen und Rückversicherungen bewirken nur, dass wir immer weiter abgehängt werden von Unternehmen, die mit dem Beta Status groß werden. Den „finalen“ Stand einer Software, oder den zu Beginn bereits feststehenden Funktionsumfang gibt es im Netz nicht. Hier entwickelt sich alles so dynamisch, dass es durchaus passieren kann, dass ich den Funktionsumfang meines Produkts oder meiner Anwendung noch im Entstehungsprozess ändern oder erweitern muss. Dafür braucht es aber Flexibilität, schnelle Reaktionszeiten und kurze Entscheidungswege. Sascha Lobo nennt es die „Deutsche Netzkrankheit“ und trifft es damit eigentlich recht gut. Wir ergehen uns in Kontrollen, Abstimmungen und erneuten Abstimmungen, jeder will mitreden, jeder will sich absichern, es geht nicht um das Produkt sondern um die politischen Ränkespiele der Karriereleiter. Und währenddessen hängen uns dynamischere hierarchieärmere und vor allem entscheidungsfreudigere Unternehmen komplett ab. Im Moment tauchen auf dem Markt diverse ausländische Anbieter mit Bezahldiensten auf. Paypal, Kredikartenunternehmen, selbst Apple und Google wollen oder bieten bereits Bezahlmöglichkeiten an.
Da stellt sich doch die provokante Frage: Wird es bald Bankgeschäfte ohne Banken geben?
Und wird diese Entwicklung nicht auch in vielen anderen Branchen einfach so passieren, während wir noch damit beschäftigt sind, Verantwortung, Qualität und Schuld zu klären?