Internetsucht, Magersucht, Alkoholsucht. Für mich sind das häufig nur Symptome einer immer perfektionistischeren Umwelt. Wir versuchen, alles zu optimieren, im Beruf werden wir wieder mit Zahlen und Tabellen kontrolliert und Berater werden eingekauft, die ohne die wirklichen Strukturen und Experten im Haus zu kennen nach Schema F optimieren. Parallel haben Shows Hochkonjunktur, bei denen von den eigenen vier Wänden über die Finanzen bis hin zum Aussehen alles optimalisiert wird. Da kann der Otto Normalverbraucher nicht mithalten, rennt ins Fitnessstudio oder noch schlimmer zum Schönheitschirurgen.Und wer bei all dem Wahnsinn irgendwann nicht mehr mithalten kann und nicht mehr die Kraft hat, zu durchschauen, dass all dies letztlich lediglich zur Gewinnoptimierung einiger weniger dient, der stürzt ab. Woher kommen wohl die steigenden Zahlen an Burn Outs, die immer neuen Süchte (die übrigens für Therapeuten und Psychiater auch Geschäft bedeuten, vor allem je schwammiger man die Erkrankung definiert wie z.B. ADHS (früher aufgewecktes Kind) oder Internetsucht (früher Lesesucht). So haben jüngste Studien ergeben, dass alleine schon die zu frühe Einschulung ADHS auslösen kann (oder besser, ein Kind einfach überfordern).
Wir erziehen nicht mehr kindgerecht, sondern Leistungsgesellschaftsgerecht, mit den unübersehbaren Folgen für die Kindheit unserer Sprößlinge und dem Risiko, dass alle nicht angepassten Kinder eben mit Hilfe der Pharmaindustrie normgerecht gemacht werden. Hat für mich schon ein wenig etwas von George Orwell oder Aldous Huxley.
Wir sollten uns nicht von den Optimierungsidioten panisch machen lassen und wieder gelassener werden. Wenn ein Projekt nicht zum meist sowieso unhaltbaren Endetermin fertig wird (der von diversen Erbsenzählern zuvor sowieso schon mehrfach zusammengestrichen wurde) dann wird niemand verhungern und sollte davon ein Unternehmen untergehen, dann hat es noch ganz andere Probleme. Wir sollten wieder realistischer sein, echter, und auch Fehler akzeptieren. Denn je mehr in den Medien über die Fehlerkultur gesprochen wird, um so weniger wird sie wirklich gelebt. Je mehr der Mitarbeiter als Mitunternehmer gefordert wird (der aber auch das Recht haben müsste seine wichtigste Ressource, sich selbst, pfleglich zu behandeln) um so mehr wird kontrolliert, Zeiten erfasst und jeder, der nicht 120% bringt lebt mit der drohenden Entlassung.
Ich muss es nochmal sagen, das Leben ist kein Notfall. Aber die Wirtschaft und die Politik will uns das einreden. Vor allem der Fehler wegen, die sie gemacht haben, und auf uns jetzt abzuladen versuchen.
Wir könnten viele Süchte alleine dadurch bekämpfen, dass wir wieder mehr normales Leben erlauben und weniger Optimierungswahn kultivieren. Die Kultur der Spitzenleistung von heute ist die Kultur der Normalität von Morgen. Und im Laufe dieser Steigerung bleiben immer mehr Menschen auf der Strecke. Und ist schon mal aufgefallen, dass Burn Out nicht behandelt wird, wie andere Süchte im Sinne, den Süchtigen von der Sucht zu befreien? Vielmehr wird der Süchtige wieder aufgepäppelt, damit er sich in die suchtfördernde Arbeitswelt wieder einfügen kann. Eigentlich benötigt nicht der Burn Out Patient eine Therapie, den ihn hat seine Körper bereits teiltherapiert, wer dringend eine Therapie bräuchte ist die Höchstleistunggesellschaft, die in ihrem eigenen Wahn angeblich aus wirtschaftlichen Zwängen gefangen ist. Immer billiger, immer schneller, immer mehr. Aber wer, wenn nicht Politik und Unternehmen hätten es in der Hand, den Druck rauszunehmen. „Der Kunde will das so.“ ist ein fadenscheiniges Argument, so lange nicht in einer gemeinschaftlichen Anstrengung probiert wurde, ob es nicht auch anders geht.
Klar will der Kunde es möglichst billig, wenn sein Lohn immer mehr gedrückt wird und nicht mal mehr die Inflation abdeckt, wenn er ein Gehalt bekommt, von dem sie oder er nicht mal vernünftig leben kann. Wir würden oft anders handeln, wenn wir den Spielraum noch bekämen, aber da werden dann vollmundig Themen wie frühzeitige Wiedereingliederung in den Beruf propagiert, die nur bei Besserverdienern wirklich funktionieren, oder Männer in der Elternzeit gefordert, wo das für manche Familien der finanzielle Ruin wäre. Man kann vieles an Gleichberechtigung fordern. Aber so lange die Gesellschaft immer ungleicher wird, sollte man als Politik auch dafür Sorgen, dass in Gesellschaft UND Wirtschaft, die Rahmenbedingungen dafür existieren. Denn auch wenn ich wiederum als Kommunist verschubladisiert werde. Die Wirtschaft hat für den Menschen da zu sein, nicht umgekehrt.