Gut genug

Wir leben in einer Zeit, in der Selbstoptimierung, tägliche, nein eigentlich stündliche Verbesserung des eigenen Selbst die Ultima Ratio zu sein scheint.
Natürlich ist daran, sich zu verbessern nichts verwerfliches an sich. Aber wenn wir das zum Grundprinzip unserer Existenz erheben, wenn gut sein nie reicht, wenn wir immer nur das Optimale erwarten, dann werden wir beständig etwas hinterherjagen, das sobald wir es erreicht zu haben glauben, wieder verschwindet, noch etwas besserem Platz macht.
Wir sind alle nicht in allem perfekt, haben unsere Defizite, sind auch mal Mängelexemplar. Aber genau das ist Mensch sein. Wer immer nur nach dem strebt, was er für besser als das hier und jetzt hält, lebt nicht heute, sondern für Morgen, für die nächste Verbesserung.

Einer der glücklichsten Momente in meiner Geschichte von Depression, Angststörung und Suizidversuch war der Moment, als ich in der Klinik realisierte, dass ich einfach nur sein durfte. Niemand erwartete etwas von mir und ich war so tief gefallen, dass ich einfach liegenbleiben wollte. Keine zu erreichenden Ziele, keine Chefs, keine Gesellschaft, der ich es recht machen wollte. Einfach wieder zu leben beginnen. Wir reden so oft davon, dass wir nur heute leben und Vergangenheit vergangen, Zukunft erst Morgen ist. Das tun wir, weil es eben stimmt, weil alles, was unser Leben ausmacht, jetzt passiert. Morgen und Gestern finden nur in unserem Kopf statt. Leben können wir nur im jetzigen Moment.
Werbung ist die Lüge eines besseren Morgen, die wir angeblich nur mit Produkt A oder Technologie B erreichen können. Coaches und Gurus leben davon, uns erst unsere eigenen Defizite einzureden als Makel, als etwas, das unbedingt optimiert werden muss, um uns dann aus mit fadenscheinigen Heilsversprechen zu belügen.

Die gesamte Fitnessindustrie lebt auch davon, dass wir uns nicht einfach nur etwas bewegen und gesund ernähren sollten, nein, wir müssen immer besser, fitter, schneller, schlanker, beweglicher werden. Wir haben das gesunde Maß verloren auch, weil ein zufriedener Mensch, der sich hinreichend bewegt und einfach nur den Status Quo genießt, ein schlechter Konsument ist.

Gut genug, statt immer besser. Auch mal so ein Konzept, was vieles leichter machen würde.