Vom über den eigenen Schatten springen

Drei kurze Geschichten, die in der Reha für eine Gruppenaktion entstanden sind. Viel Spaß damit:

Der Mann und sein Schatten

Der Mann spürte die Blicke in seinem Rücken. Wenn er arbeitete, wenn er schlief, wenn er liebte und traurig war. Immer spürte er die Blicke. Sie fragten, sie durchbohrten und sie behinderten ihn.
Aber so sehr er sich anstrengte noch besser zu werden, die Blicke waren immer da. Sie verfolgten ihn wie sein Schatten. Und wie sein Schatten verfinsterten Sie seine Welt. Er besuchte Ärzte und Psychologen, Heiler und Scharlatane, niemand konnte den Schatten auf seiner Welt beseitigen.
Als der Mann schon aufgeben wollte, traf er einen kleinen Jungen, der fröhlich auf dem Dorfplatz spielte.
Der Junge hüpfte wild hin und her, schien etwas zu verfolgen und verfolgt zu werden. Aber der Junge freute sich, juchzte und lachte.

„Was machst du da?“, fragte der Mann.
„Ich spiele fangen.“ erklärte der Junge.
„Aber es ist doch niemand da, den du fangen könntest.“
„Aber natürlich ist da jemand, mein Schatten.“
Der Mann lachte auf: „Den wirst du doch nie erreichen können. Niemand kann seinen Schatten fangen..“
„Das sagt ihr Erwachsenen immer, weil ihr keine Fantasie und keinen Mut mehr habt. Stell dich dort drüben hin und schau genau, was ich mache.“
Damit machte der Junge einen großen Satz und plötzlich, für den Bruchteil einer Sekunde schien er tatsächlich über seinen Schatten zu springen.
„Siehst du. Es kommt immer nur darauf an, wie du es betrachtest. Ihr Erwachsenen seid so voller Misstrauen, Furcht und Kritik. Versuch du es doch auch mal, ohne nachzudenken, ohne deine Sorgen in den Sprung zu legen.“
Der Mann lachte, tat es dem Jungen gleich und so hüpften sie immer wieder, fingen ihre Schatten, jagten nach Ihnen und sprangen über sie.

Und an diesem Abend, alleine Zuhause in seinem Zimmer spürte der Mann die Blicke nicht mehr. Sein Schatten war weg, er spürte Mut und Zuversicht und er hörte das fröhliche zuversichtliche Lachen des Jungen immer noch.

Der Mann war über seinen Schatten gesprungen.

 

 

Anleitung, um über seinen Schatten zu springen.

Eine Prise Mut, damit fängt alles an. Füge Zuversicht und Hoffnung hinzu. Rühre das ganze gut um und gib dann die Zukunft hinein. Aber bitte wähle die zuckrige, die süße Zukunft, denn nur die ist was du erreichen willst. Das ganze fülle in dein Herz, und zwar nicht nur halbherzig, sondern bis dein Herz überlauft.
Nun stelle dir vor, wohin du springen willst, der Schatten alleine ist kein Ziel sondern nur eine Hürde, das Ziel liegt dahinter. Denk dir ein schönes Ziel aus, es muss nicht direkt hinter dem Schatten liegen, aber es muss schön sein, herzerwärmend schön, augentränend schön. Und sag nicht, du hast kein solches Ziel. Wäre da kein Ziel für dich, wäre da auch kein Schatten.
Jetzt nimm Anlauf. Möglichst viel, fülle den Anlauf mit Kraft und Zuversicht und planiere ihn mit Optimismus. Dann laufe los. Hör nicht auf die Nörgler und Kritiker, auf die Schwarzmaler und Pessimisten. Sie wissen, dass du es schaffen kannst und sind nur neidisch auf deinen Erfolg.
Dann springe, wenn du vor deinem Schatten stehst. Mach dir keine Gedanken über Höhe oder Weite. Allein dein Springen, gepaart mit deinem zuckersüß gefüllten Herz wird dich weit über den Schatten tragen. Und wenn du scheiterst, fragst du mich?
Du wirst nicht scheitern, sage ich dir. Denn das ist das interessante an Schatten, sie existieren nicht wirklich, aber sie wirken auf uns wie eine unüberwindliche Wand. Wenn du aber erst mal gesprungen bist, dann fällt diese Wand in sich zusammen und du wirst den Weg dahinter erreichen, der dich zu deinem Ziel führen wird.
So geht das Rezept für das Überspringen von Schatten
Vertrau mir, ich habe es bereits erprobt.
Denn auch was du hier liest ist ein Schatten, den ich übersprungen habe.

 

 

 
Die Frau, die über ihren Schatten sprang.

Es war früh am Morgen und die Frau wollte nicht aufstehen. Aber sie musste, man erwartete viel von ihr, so viel, was zu tun war. Niedergeschlagen und traurig machte sich die Frau auf den Weg zu ihren Aufgaben, die sich vor ihr auftürmten.Gerade als sie die Tür zu ihrem Büro öffnen wollte, trat ein alter Mann aus dem Schatten neben ihr.
„Du kannst es.“ sagte er, ohne sich vorzustellen.
„Was kann ich?“ Fragte die Frau verärgert, „sprich nicht in Rätseln.“
„Du kannst über deinen Schatten springen.“ der Mann deutete auf den Schatten am Boden. „Versuch es.“
„Verrückter alter Mann.“ die Frau winkte ab. „Du weißt, dass es unmöglich ist.“
Der Mann nickte: „Dann beweise es mir, spring über deinen Schatten oder tue es nicht, aber beweiße mir, dass du es nicht kannst.“
Die Frau lachte, nahm Anlauf, sprang und überquerte ihren Schatten..
„Das ist ein Trick! Das kann nicht sein.“ sagte die Frau.
„Ob Trick oder nicht, du bist darüber gesprungen, weil du nicht darüber nachgedacht, sondern es einfach getan hast.“
„Das lasse ich nicht gelten.“ sagte die Frau.
„Siehst du, so sprichst du immer. Bei jedem Schatten, den du überwinden willst, sagst du schon zuvor, das schaffe ich nie, das lasse ich nicht gelten, ich kann das nicht. Wer aber kann dir das beweisen, bevor du es versucht hast?“ Die Frau dachte nach. Sie dachte lange nach. So lange, dass sie nicht bemerkte, wie der Mann wieder im Schatten verschwand. Und mit ihm auch der Schatten der Frau. Denn es war ein bewölkter Tag und nichts warf wirkliche Schatten.
Als sie sich gerade abwenden wollte, entdeckte sie eine kleine Karte, fast eine Visitenkarte auf dem Boden liegen. Sie hob die Karte auf und las darauf nur drei Worte:

Herr Zuversicht
Schattenüberspringer