Wider die Hochdruckgesellschaft

Wo immer ich hinschaue, es werden Spitzenleistungen gefordert. Und die Spitzenleistung von heute wird zur Normalität von Morgen.

Darunter leiden bereits unsere Kinder in einer immer mehr nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimierten (Aus-)Bildungsmühle, die Werte wie Moral, Ethik hinter ach so wichtige Dinge wie Fit sein für den Beruf, Vorbereitung aufs Hochdruck-Bachelorschulstudium und die danach folgende Arbeitswelt der Topleister stellt.

Und dann wundern sich Medien und Politik über immer mehr psychische Erkrankungen, über Burnout und eine heranwachsende Generation, die plötzlich Werte wie Familie und Freunde hinter Karriere stellt. Dabei zeigt sich doch nur. Das Individuum ist offensichtlich nicht so dumm wie die abstrakte Wirtschaftsmaschinerie.

Wer Hochdruck aushalten muß, der sucht sich Ventile, sucht sich Möglichkeiten, dem Druck zu entkommen. Und da die Wirtschaft immer noch den Fokus auf Wachstum, auf immer mehr Leistung und Umsatz setzt, statt Nachhaltigkeit, kippen auch immer mehr angebliche Lowperformer aus dem Gefüge.

Spitzenleistung kann auf Dauer niemand bringen, wenn die Spitze dauernd weiter nach oben gesetzt wird. Und wer die Prozesse statt an der einen oder anderen Stelle sinnvoll zu entschleunigen immer weiter beschleunigt, der wird früher oder später merken, dass sich Fehler häufen, dass Krankheitsraten steigen, Fluktuation sich erhöht und irgendwann plötzlich der Kunde immer unzufriedener wird und schließlich das eigene Image darunter leidet.

Der Spruch „In der Ruhe liegt die Kraft“ scheint heute dem „Geschwindigkeit um jeden Preis“ gewichen zu sein. Oder halten wir es wirklich für vernünftig und gesund, unsere Kinder mittlerweile bereits im Kindergarten auf das Berufsleben vorzubereiten? Ich erinnere mich noch an den Satz „nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.“ Das gilt heute nicht mehr. Heute müsste der Satz lauten „nicht für die Schule, für den Arbeitgeber lernen wir“.

Wir sollten einen gesellschaftlichen Konsens erreichen, der nicht alleine auf Profit und Beschleunigung basiert. Es ist ein Irrtum zu behaupten, wir ertrinken in Informationen, wir sind Sklaven unserer Technologie. Das stimmt so nicht, denn das sind alles Werkzeuge. Was aber stimmt ist, dass wir Sklaven eines Dogmas sind, das den Wert des Menschen immer stärker auf seine berufliche (Spitzen-)leistung fokusiert, das alle Handlungen außerhalb der Arbeitswelt nur noch auf  „fit machen für den Beruf“ beschränkt. Und das gleichzeitig in immer größerer Zahl Arbeitslosigkeit produziert, weil man natürlich am liebsten ohne den zweibeinigen Kostenfaktor Mensch Profite erzielen will. Das Gehalt soll bitte möglichst gering sein, der Konsum aber möglichst hoch.

Es ist aber leichter, die Schuld für Überlastungen und ein Ertrinken in Technologien zu suchen, statt die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mechanismen zu hinterfragen, die Menschen dazu bringen, sich so von Informationen überfluten zu lassen. Dabei hilft es gar nichts, das Smartphone oder den Notebook auszuschalten, wenn man dadurch Probleme mit Vorgesetzten oder Kollegen bekommt, die im gleichen Trott stecken und die Erreichbarkeit als notwendig erachten. Wer immer noch in einer zeitbasierten Ökonomie arbeitet, in der die Entlohnung an der Erreichbarkeit und Anwesenheit hängt und nicht an zu erreichenden Zielen, der wird es sehr schwer haben, hier eine gewissen Entschleunigung einzubauen, da er ja nur dann tätig zu sein scheint (!!!) wenn er auch anwesend und erreichbar ist.

Sind wir wirklich so überrascht, dass diesem Irrsinn manche Menschen auch mit irrationalen Argumenten entgegentreten? Ist es wirklich so verwunderlich, dass psychosomatische Erkrankungen so stark zunehmen, wenn der normale Mensch keinen Ausweg aus einer immer schneller arbeitenden Mühle aus Arbeit und Konsum sieht?

Wir brauchen einen gesellschaftlichen Wertewandel. Das wird aber sehr schwer im Zeichen einer globalisierten Welt, in der alles der Prämisse „schneller sein als die Konkurrenz“ geopfert wird.

Ich habe kein Patentrezept zur Lösung dieses Dilemmas. Aber ich werde nicht müde, auf den Irrsinn hinzuweisen und ihn für mich selbst wo immer es geht nicht mehr mitzumachen. Denn der nächste Burn out lauert um die Ecke. Und nur, wer da einmal drin gesteckt hat, weiß, dass es auch persönliche Grenzen gibt, die zu verteidigen wichtig ist.