Lange Zeit hat mich der Begriff des Fremdbilds gestört. Ich wusste nur nicht genau warum. Waren es die versteckten Konnotationen, die da mitschwangen? War es die Subjektivität, die mich störte.
Letztlich bin ich zum Schluss gekommen, dass es die dahinter liegenden Annahmen sind. Wer das Fremdbild als Mittel zur Selbsteinschätzung nimmt, muss sich immer damit auseinandersetzen, wer dieses Fremdbild liefert. Und da liegt das große Problem. Es passiert äußerst selten, dass die Person, die mir ein Bild meiner eigenen Persönlichkeit liefert selbst komplett objektiv, uneigennützig un ehrlich ist.
In Wirklichkeit sollte ich in den meisten Fällen das Fremdbild sehr vorsichtig interpretieren, oder besser erst gar nicht zu ernst nehmen. Warum denke ich so?
Nun, dafür gibt es einige Gründe.
Zum einen leben wir in einer Umwelt, in der uns dauernd Fremdbilder präsentiert werden, meist indirekt und versteckt, in dem uns vor Augen geführt wird, wie wir sein sollen. Die Werbung ist der direkteste Fremdbildlügner. Wir sollen konsumieren, uns für die neuesten Techniken interessieren, jeden Kosmetikblödsinn kaufen um jugendlich auszusehen, Convenience Food kaufen, weil wir ja angeblich so wichtig und ausgelastet sind, dass Kochen reine Zeitverschwendung wäre.
Dabei macht vieles, was Menschen sich ins Gesicht schmieren oder zu uns nehmen uns nicht gesünder, schöner, fitter, sondern eigentlich nur krank. Und auch im Alltag hören wir viel zu oft auf die Fremdbilder von Kollegen, Nachbarn, Vorgesetzten, Medien. Es wird uns gesagt wir sollten Karriere machen, wir müssten uns auf eine bestimmte Art verhalten, etwas bestimmtes denken um erfolgreich, klug oder auch nur brav zu sein.
Warum hören wir nicht mehr auf uns selbst? Schließlich behauptet die Presse doch permanent, wir würden immer mehr zu einer Gesellschaft der Egoisten. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn gerade durch diese Behauptung zwingt man insgeheim dazu, über das eigene Selbstbild nachzudenken, eigene Werte und Vorstellungen permanent zu hinterfragen und sich immer mehr an dem zu orientieren, was Fremde zu uns sagen ergo am Fremdbild.
Ich halte es für eine der großen Lügen unserer Zeit, dass wir vermittelt bekommen, unser eigenes Bild von uns selbst wäre gestört, unehrlich und ungenau. Wer wenn nicht wir selbst kennen unsere Stärken und Schwächen, unsere dunklen Geheimnisse und großen Leidenschaften? Man redet uns ein, wir wären psychisch nicht dazu in der Lage, uns selbst einzuschätzen und beweißt es an an all den Fehleinschätzungen, die Menschen in Experimenten machen. Was man dabei vergisst. Genau die gleichen Fehleinschätzungen führen zu den Fremdbildern die andere von uns haben. Ich behaupte, wer sich auf Fremdbilder mehr verlässt, als auf das eigene Wissen über einen selbst, der wird mit der Zeit nur noch zu einer Marionette seines Umfeldes. Denn wer glaubt denn, dass andere mich uneigennützig beurteilen oder auch nur objektiv. Da spielen eigene Erfahrungen, eigene Ideale und Wertvorstellungen mit hinein. Wenn nun diese aber aus der persönlichen Erfahrung meines Gegenübers resultieren, ist ja gerade das Fremdbild NOCH ungenauer, da es zum einen nicht meine ganze (Lebens)Geschichte mit einbeziehen kann, zum anderen durch die Erfahrungen meines Gegenübers gefärbt ist.
Oder was zum Beispiel für die Werbung gilt, aber auch für viele Menschen, die mich zu einer bestimmten Handlung bringen wollen, es interessiert überhaupt nicht wer ich bin oder was meine Ziele sind, es interessieren die Ziele und Wünsche des Auftraggebers oder desjenigen, der mich beeinflussen will. Eine extrem pervertierte Art, wie man das Selbstbild einer Person hinterfragen und durch ein völlig falsche Fremdbild ersetzen kann zeigt sich in all den Sekten wie Scientology, die gerade darauf hinarbeiten, dass ich mich selbst nicht mehr einschätzen zu können glaube.
Insofern, vertraut wieder mehr auf euch selbst, auf eure Talente und Fehler. Denn wer sich selbst gut kennt, ist viel zufriedener und kennt auch seine Grenzen. Ich wage zu behaupten, dass dies eine hervorragende Burn Out Prävention ist, wenn man mal die ganzen Fremdbilder einfach ignoriert und sich selbst wirklich mal am nächsten ist.
C.G. Jung, sagt hierzu in „Bewusstes und Unbewusstes“:
Wer in den Spiegel des Wassers blickt, sieht allerdings zunächst sein eigenes Bild. Wer zu sich selber geht, riskiert die Begegnung mit sich selbst. Der Spiegel schmeichelt nicht, er zeigt getreu, was in ihn hineinschaut, nämlich jenes Gesicht, das wir der Welt nie zeigen, weil wir es durch die Persona, die Maske des Schauspielers, verhüllen. Der Spiegel aber liegt hinter der Maske und zeigt das wahre Gesicht. Dies ist die erste Mutprobe auf dem inneren Wege, eine Probe, die genügt, um die meisten abzuschrecken, denn die Begegnung mit sich selber gehört zu den unangenehmeren Dingen, denen man entgeht, solange man alles Negative auf die Umgebung projizieren kann.
Man könnte auch sagen: Es fällt uns viel leichter, uns von den Meinungen und Fremdbildern anderer abhängig zu machen, als ehrlich und offen mit uns selbst und unserem Wesen umzugehen. Aber durch diese Unehrlichkeit werden wir immer unehrlich auch zu unserer Umwelt. Und da wir in einer Gesellschaft leben, die sehr viel Wert auf die Einbeziehung des Fremdbildes legt, werden wir qua definitionem auch immer unehrlicher in der Entwicklung unseres Fremdbildes von anderen.
Die klarsten Manifestationen dieses Misstandes sind die Einschätzungen, die wir immer wieder hören können über „die Ausländer“, „die Arbeitslosen“, „die Behinderten“. Alles Fremdbilder über eine ganze Bevölkerungsgruppe, alle scheren über einen Kamm und alle sind in den meisten Fällen schlicht falsch.
Aber bequem.