Kapitel 4: Der Tag, an dem mein Mann beinahe starb

Die Nacht war wieder total schrecklich. Kaum geschlafen, aber dafür Sorgen ohne Ende.

Heute habe ich einen Termin mit Uwes Teamleiter, endlich nachdem ich tagelang versucht habe ihn zu erreichen. Nachdem ich lange nur zugeschaut und versucht hatte Uwe irgendwie zu unterstützen, aber es von Tag zu Tag nur schlimmer wurde, habe ich mich entschlossen aktiv einzuschreiten und zu versuchen wirklich etwas für Uwe tun zu können.

Ich gebe Uwe wieder eine Tavor, damit er überhaupt zur Arbeit gehen kann, die Ängste sind mittlerweile Dauerzustand, aber er hat noch mehr Angst nicht zur Arbeit zu gehen.

Also treffe ich mich mit seinem Teamleiter um erstens zu fragen ob überhaupt wirklich bekannt ist, dass Uwe krank ist, mittlerweile haben wir schließlich die Diagnose Depression, zweitens zu sagen, dass Uwe einen Platz in der Tagesklinik am Ort hat um sich helfen zu lassen und drittens um zu fragen, ob sie versuchen ihn „fertig zu machen“, denn für mich hat es mittlerweile nach allem was ich so mitbekommen habe den Anschein, dass es sich eher um eine Hetzjagd handelt um ihn los zu werden. (Das war und ist mein Eindruck)

Er ist sehr nett, lädt mich gleich zu einem Kaffee ein, aber ich muss ihn leider etwas barsch unterbrechen, damit ich überhaupt zu Wort komme. Irgendwie versucht er mir ständig einzureden, dass Uwe nicht das macht was er soll.

Als ich es endlich schaffe dazwischen zu kommen frage ich ihn, ob denn nicht bekannt sei, dass Uwe an einer Depression leide. „Aber natürlich wissen wir das, er hat uns ganz offen gesagt was los ist“, entgegnete er. „Wir wollen ihm nur helfen, seien sie sicher, es wird alles gut. Wir kümmern uns darum.“

Etwas beruhigter gehe ich nach Hause, allerdings hält es nicht lange an. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl, ich kann es nicht beschreiben, aber es lässt mich nicht in Ruhe.

Normalerweise gehe ich Donnerstags um 11 Uhr immer mit einer Freundin und deren Hund spazieren. Bei den Spaziergängen nehme ich mein Smartphone nie mit, sodass ich ca eineinhalb Stunden nicht erreichbar bin.

An diesem Tag sitze ich kurz nach 11 Uhr immer noch auf der Couch, ich habe alle verfügbaren Mobilgeräte um mich herum aufgebaut und versuche Uwe zu erreichen bzw. zu orten.

Kurz nach 11 Uhr ruft meine Freundin an, wo ich denn bleibe und ich sage nur, dass ich heute nicht kommen kann, irgendetwas stimmt nicht, ich muss zu Hause bleiben und zusehen, dass ich das geregelt kriege.

Also sitze ich auf der Couch, die Geräte um mich herum und versuche ständig ihn zu erreichen und zu orten.

Bis dann auf einmal eine Whatsapp Nachricht kommt

Tschüss

ein Bild von einer Packung Schlaftabletten und ein Versuch einer Erklärung, warum er seinem Leben ein Ende setzen muss.

Ich versuche ihn dazu zu bewegen zu schreiben wo er ist, da er immer noch das GPS seines Handys ausgeschalten hat.

Zum Glück schreibt er noch, dass er sich irgendwo im Gebäude seiner Arbeitsstelle befindet.

Also stürze ich mich ins Auto und rase dorthin, stelle das Auto quer über eine Bushaltestelle ab und sprinte in das Gebäude zur Rezeption. Keuchend und total aufgeregt schildere ich mein Anliegen und sage, bzw. schreie schon fast, dass unbedingt nach ihm gesucht werden muss, da ich nicht weiß wie lange er noch am Leben sein wird.

Ich darf nicht mit suchen, sondern muss am Empfang sitzen bleiben und warten. Die längste Zeit meines Lebens…

Sicherheitsleute, Kollegen und keine Ahnung wer sonst noch wird losgeschickt um ihn zu suchen. Ich bekomme immer nur mit wenn wieder jemand vorbei kommt und sagt, dass sie nichts gefunden haben.

Uwes Teamleiter kommt auch und versucht mich zu beruhigen und sieht sich mit mir zusammen noch einmal den Whatsapp Chat an, ob wir irgend etwas finden können, was auf seinen Aufenthaltsort schließen lassen würde.

Endlich kommt die erleichternde Nachricht, dass er ganz oben auf dem Turm im Treppenhaus, an einer sehr schwer einsehbaren Stelle gefunden wurde. Nun darf ich hinauf und werde von einer Fachkraft der Krankenstation gebeten zu ihm zu sitzen und mit ihm zu sprechen, er sei noch am Leben, allerdings nicht ansprechbar und der Notarzt sei alarmiert.

Also setze ich mich zu ihm, rede mit ihm, erzähle ihm, dass alles gut wird. Einmal hebe ich ein Augenlid, um zu sehen ob es irgendeine Reaktion gibt, aber nichts, gar nichts….

Als der Notarzt und die Sanitäter eintreffen muss ich natürlich wieder weg. Sehr viele Leute stehen jetzt in dem Flur, Uwe und die Ärzte eine Treppe höher. Auf einmal kommt eine Frau und umarmt mich, spricht mit mir und als ich wohl doch nur verstört schaue, erklärt sie mir, dass sie eine Kollegin von Uwe ist und ihn gerade gefunden hat. Danach liegen wir uns wieder in den Armen.

Uwe wird auf einer Liege die Wendeltreppe runter manövriert und an die Seite gestellt, die Sanitäter und der Arzt beraten sich, telefonieren sind unschlüssig. Polizisten sind auch vor Ort, fragen mich ob ich seine Frau sei und warum ich hier stehen müsste, ob es keinen Stuhl gäbe, aber dann werde ich schon in einen Konferenzraum geschoben, sie müssen jetzt an Uwe arbeiten, das wollte ich bestimmt nicht sehen.

Ich habe keine Ahnung, wie lange das alles dauert, doch irgendwann kommt die Aussage, dass Uwe jetzt nach unten gebracht wird, noch ist nicht klar in welches Krankenhaus, aber ich solle jetzt auch mit runter und dann noch in die Krankenstation um mich wieder zu beruhigen, bevor ich nach Hause gehe.

Ich werde auf eine Liege gelegt, ich zittere am ganzen Körper, mir ist immer noch nicht so ganz bewusst was da gerade passiert ist. Meine Eltern werden benachrichtigt, dass sie unbedingt kommen sollen um mir beizustehen, Uwes Abteilungsleiter setzt sich noch eine ganze Weile zu mir und unterhält mich. Und nach vielleicht einer Stunde beschließen wir, dass jemand mein Auto nach Hause fährt, ich von Uwes Teamleiter gefahren werde und noch die Kinder von der Schule abhole, da man ja nicht weiß wie es weiter geht. Immerhin weiß ich mittlerweile, dass er ins Ortsansässige Krankenhaus eingeliefert wurde und ich später vorbei gehen kann um nach ihm zu sehen.

Als ich meinen Jüngsten Sohn aus dem Unterricht hole ist ihm schon klar, dass etwas schlimmes passiert sein muss, aber ich sage nur, dass Papa bei der Arbeit umgekippt ist und er im Krankenhaus liegt und wir nicht wissen wie es ihm geht.

Danach hole ich noch meine Tochter. Als wir zu Hause ankommen sind meine Eltern schon da.

Die Stimmung ist gedrückt, die Kinder wirken verwirrt und mir ist es furchtbar übel.

Später fährt mich meine Mutter ins Krankenhaus, wo ich Uwe auf der Intensivstation besuche.

Er sitzt in seinem Bett im typischen Hemdchen und an eine Infusion angeschlossen. Er scheint zwar zu erkennen, dass jemand da ist, aber es ist sehr seltsam. Er blickt verwirrt im Zimmer umher, langsam ganz langsam, versucht ab und zu nach etwas zu greifen,  erreicht aber nichts. Dann versucht er mit mir zu sprechen, aber er kann keine Worte bilden. Es sind unverständliche Laute.

Da ich nichts von dem verstehe was er versucht zu sagen wird er zunehmend unruhig und ich befürchte, dass er sich zu sehr aufregt, also verabschiede ich mich für den Tag.

Alles scheint als wäre es ein wahrgewordener Alptraum , aber immerhin er lebt und jetzt wird ihm wirklich geholfen!

Diesen ersten Besuch habe ich nicht wirklich bewußt erlebt, es sind am nächsten Tag in der Notaufnahme zwar Erinnerungsfragmente aufgetaucht, aber das Sibylle wirklich bereits in der Nacht an meinem Bett gewacht hatte, habe ich nicht in meiner Erinnerung. Was mich erschreckt, als ich den Text das erste Mal lese ist, wie sehr Sibylle doch schon ahnte, worauf ich da zu steuere und wie sehr ich das ganze vor mir selbst verheimlicht habe.

 

Kapitel 1: Vorwort und Kapitel 1: Sie sind entlassen

Kapitel 2: Was habe ich mir dabei nur gedacht?

Kapitel 3: Was ist mit Papa passiert?

Kapitel 4: Der Tag, an dem mein Mann beinahe starb

Kapitel 5: Von Null auf sechs Wochen in zu wenig Zeit

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