Von der Dankbarkeit, überlebt zu haben

Ich lebe noch. Das ist etwas, das für mich keineswegs selbstverständlich ist. Es gab Momente, da war das Ganze auf Messers Schneide. Mehr davon, als ich mir jemals eingestanden habe. Und es gab einen Moment, da stand ich an der Klippe und es war gar nicht klar, ob mich mehr Menschen fallen oder mich retten sehen wollten.

Damals hat mich ein Mensch gerettet und ich weiß nicht, was ohne meine Frau geschehen wäre. Ob ich noch da wäre, ob ich noch gesund da wäre. Mein Leben ist rückblickend angefüllt mit vielen Momenten des Zweifels. Wertlos, schwach, als überflüssig gesehen zu werden oder mich selbst zu sehen war für mich lange Jahre Alltag, normal, man fühlt das eben so, es sagt bloß keiner.  Manchmal hätte ich mir gewünscht, einen der Pfade aus dem wundervollen Gedicht von Robert Frost zu sehen.

Zwei Wege boten sich mir dar,
Ich nahm den Weg, der weniger begangen war,
und das veränderte mein Leben.

Mehr als ein Mal war da nur noch eine Wand, die Angst, daran zu zerschellen und der Wunsch, den Schmerz zu beenden. Ich habe Glück gehabt, dass all die Jahre stets auch Menschen an meiner Seite waren, die mir eine Hand gereicht haben. Aber immer waren da auch Menschen, die mir einen Tritt verpassten. Die schmerzhaftesten Tritte kamen stets mit der Begründung, man wolle ja nur mein Bestes. Dabei wusste ich nicht mal, ob überhaupt irgendwas an mir gut war.

Eine Spur zu hinterlassen, etwas bedeutsames zu tun, natürlich hatte auch ich solche Wünsche. Aber meine Sicht auf mich erlaubte mir nie, auch nur einen Schritt in diese Richtung zu wagen. Vieles von dem, was ich las, um mich zu motivieren, um vielleicht etwas weniger traurig zu sein, klang wie Hohn, wie unrealistisch weil zu einfach.

Heute weiß ich, das Leben ist nicht gerecht. Es ist nicht vorhersehbar und schon gar nicht kann man den eigenen Sinn erkennen. Der offenbart sich von selbst früher oder später.

Dass ich ein Buch veröffentlichen würde, schon das war ein Erlebnis, das mich für immer verändert hat. Und das mich hunderte von Mails erreichten, von Briefen und Anrufen, in denen man mir erklärte, wie wertvoll, wie wichtig, wie lebensverändernd mein Buch für die Menschen geworden ist. Ich kann nicht in Worte fassen, wie viel mir das bedeutet. Stolz ist ein Wort, das auch ein Quäntchen Arroganz beinhaltet aber dennoch ja, ich bin stolz auf über 400 Seiten, die meine ganz persönliche Geschichte beschreiben und dennoch offensichtlich so viele Menschen berühren.

Bald erscheint das Hörbuch, ein weiterer unglaublicher Wendepunkt. Man treibt Aufwand, und das nicht zu gering, um das Publikum für meine Geschichte noch größer zu machen. Wer einigermaßen weiß, wie der Literaturbetrieb tickt, der ahnt sicher, dass ich mir damit keine goldene, nicht mal eine metallene Nase verdienen werde. Aber ich habe einen kleinen Fußabdruck hinterlassen, ich hab ein kleines Stückchen mehr Bedeutung in das Leben einiger Menschen gebracht. Und selbst wäre mir das nur mit einem Menschen gelungen, würde mich das schon glücklich machen.

Ich habe gelernt, größer zu denken, mutiger zu werden, selbst-bewußter. Nicht so, wie ich es gerne hätte, aber besser als alles in meinem Leben zuvor. Ich habe nach wie vor dunkle Tage, aber ich lasse sie nicht mehr mein ganzes Leben bestimmen.

Mittlerweile versuche ich mich sogar im Träumen. Meine Frau hatte mal die Idee, mein Buch würde zur Schullektüre. Der Botschaft wegen würde ich mir das mittlerweile wirklich wünschen, auch weil ich mit Begeisterung an Schulen gehe, um aufzuklären, zu entstigmatisieren.

Und hey, wer weiß, denken wir doch mal noch größer. Vielleicht, eines Tages, werde ich meine Geschichte im TV sehen, oder im Kino? Klingt überheblich?

Mag sein. Aber ich übe mich gerade darin, mich nicht mehr klein zu machen. Ich übe mich darin, mit erhobenem Haupt durch die Welt zu gehen. Als jemand, der seine Krankheit überlebt hat, und der jetzt mit seinem Beispiel anderen Menschen Mut machen will. Was spricht also dagegen, groß zu denken? Nur so erreiche ich möglichst viele Menschen. Also sollte ein Drehbuchautor, ein Regisseur, ein Schauspieler das lesen. Ich bin bereit. Und ich schäme mich nicht, das offen zu sagen.

Ich kenne jetzt meinen Weg in diesem Leben, Frost hat mir zwei gezeigt, ich habe den weniger begangenen gewählt und bereue nichts. Viel zu lange habe ich mich von anderen Menschen klein machen lassen. Viel zu lange habe ich zugesehen, wie andere Menschen klein gemacht wurden von Mitmenschen, die vor Arroganz, Ignoranz und Intoleranz strotzten. NICHT MEIN WEG.

Ja, ich freue mich auch heute noch wie ein Kind über jedes verkaufte Exemplar meines Buchs, jedes gute Gespräch mit Betroffenen, denen mein Buch ein klein bisschen helfen konnte. Und ja, ich fühle zum ersten Mal so etwas wie Stolz, ohne ihn gleich herabzuwerten, ohne mich herabzuwerten.

Es kann besser werden. Aber dahin führt ein wenig begangener Weg, dessen Länge niemand voraussagen kann.

Aber der Weg lohnt. Glaubt mir, ich bin gerade auf ihm unterwegs.

 

Für mich war Steven Hawking immer ein Vorbild. Nicht wegen seines Schicksals sondern wegen seiner tiefen Neugier und der Lust daran, etwas im Leben zu bewegen. Daher zum Abschluß Stephen Hawking:

„Look up at the stars and not down at your feet.
Try to make sense of what you see, and wonder about what makes the universe exist. Be curious.“
Oder wie der ebenfalls sehr geschätzte Neil deGrasse Tyson formuliert:

The atoms of our bodies are traceable to stars that manufactured them in their cores and exploded these enriched ingredients across our galaxy, billions of years ago. For this reason, we are biologically connected to every other living thing in the world. We are chemically connected to all molecules on Earth. And we are atomically connected to all atoms in the universe. We are not figuratively, but literally stardust.