Das kleine, große Geschenk. Eine selbstgeschriebene Weihnachtsgeschichte

Der Baum leuchtete in Gold und Rot. Ganz hinten, am Ende des Krankenhausflurs stand er, umgeben von kleinen und größeren Kartons, verpackt in buntes, weihnachtliches Papier.
Der kleine Junge stand wie jeden Morgen seit einer Woche davor, die Augen leuchteten gleichzeitig und sahen traurig aus. Seit 4 Wochen war der Junge nun auf der Krebsstation des Krankenhauses und seine Behandlung würde noch mindestens 8 weitere Wochen dauern. Wochen ohne seine Familie, Wochen ohne die Wärme des eigenen Zuhauses, ohne Festtagsstimmung und ohne vorweihnachtliche Freude. Heike, die als Krankenschwester auf der Station arbeitete, blickte den Flur hinunter. Die Schultern des Jungen hingen nach unten und sie konnte die Traurigkeit förmlich spüren.

“Traurig, an Heiligabend so alleine im Krankenhaus zu sein.” Heike erschrak, wandte sich um. Hinter ihr Stand Paul, lächelte sie an. “Ich habe vorhin mit ihm gesprochen, er wünscht sich keine Geschenke, nur dass seine Familie bei ihm ist. Aber die können über die Feiertage nicht kommen. Zu weit weg, zu wenig Geld.” Paul kam jedes Jahr zur Weihnachtszeit in die Klinik, beschäftigte sich vor allem mit den Kindern auf der Krebsstation und versuchte, ein paar der Wünsche zu erfüllen. Er war vor seiner Rente erfolgreich im Beruf, hatte sich ein kleines Vermögen angesammelt.

Aber vor Jahren hatte er seine Familie bei einem schrecklichen Unfall verloren, lag selbst für Monate mit schwersten Knochenbrüchen in der Klinik. Um die Einsamkeit zu ertragen hatte er irgendwann begonnen, so etwas wie der innoffizielle Weihnachtsmann der Klinik zu sein.
Meist erfüllte er kleine oder größere materielle Wünsche. Doch immer wieder gab es auch immaterielle Wünsche, nach Gesundheit, nach einer Entlassung vor Weihnachten. Paul und Heike kannten sich, auch sie übernahm freiwillig die Weihnachtsschichten,, weil zuhause niemand auf sie wartete.
“Er ist gerade in einer wichtigen Phase seiner Behandlung, es wäre zu riskant, ihn über die Feiertage zu entlassen.”
Paul nickte. „Er weiß das. Aber trotzdem wünscht er sich nichts mehr, als bei seiner Familie zu sein. Sein Vater ist vor ein paar Jahren an der selben Krankheit verstorben, gegen die er jetzt kämpft. Aber seine Mutter und seine Geschwister wohnen weit weg und können sich die weite Anreise nur sehr selten leisten. Meist kommt dann auch nur seine Mutter.”
“Meinen Sie, wir könnten da irgendwas machen?” Heike blickte Paul fragend an.”
Er nickte: “Irgendwas lässt sich immer machen, die Frage ist, ob es in wirklich glücklich macht.”
“Wenn wir doch nur seine Familie hier her bringen könnten.”
“Das habe ich bereits zu erreichen versucht, aber seine Mutter muss auch über die Feiertage arbeiten, sie hat gerade mal zur Bescherung ein paar Stunden extra frei bekommen. Das reicht nicht, für eine rechtzeitige Anreise.”
Heikes Blick blieb an einem der Bildschirme hängen, die auf der Station Patienteninformationen darstellten und zwischendurch einen Nachrichtensprecher zeigten. Er saß sehr bedeutungsschwanger da, und verkündete am Tag vor Heiligabend letzte Nachrichten des Tages. Szenen eines Unfalls waren zu sehen, viele Helfer und Krankenfahrzeuge. Im Hintergrund landete ein Notfallhubschrauber und ein Feuerwehrfahrzeug stoppte an der Unfallstelle. Feuerwehrleute in ihrer roten Bekleidung sprangen aus dem Fahrzeug und begannen, die Unfallstelle zu räumen und die Verletzten zu versorgen.
Gerade, als Heike sich wieder ihrer Arbeit zuwenden wollte, sagte Paul mit einem Blitzen in den Augen: “Ich glaube, ich hab da eine Idee.“

Es klingelte an der Haustür. Die Mutter des kleinen Jungen blickte verblüfft zur Uhr. “Wer will denn um diese Zeit was von uns?” Die Geschwister des kleinen Jungen saßen bei ihrer Mutter in der Küche. Richtige Weihnachtsstimmung wollte ohne ihren Bruder nicht wirklich aufkommen.
“Können wir nicht doch noch zu ihm?”, fragte seine Schwester.
“Tut mir leid Kinder, aber dafür reicht unser Geld wirklich nicht. Gerade auch, weil die Preise für Fahrkarten viel zu teuer sind.” Die Mutter ging zur Tür. Dort stand ein Sanitäter und hinter ihm konnte sie einen Krankenwagen sehen.
“Mein Gott, ist meinem Kind was passiert?”
“Keine Sorge, alles in Ordnung. Aber sie sollten trotzdem mitkommen. Packen sie das nötigste und auch seine Geschwister sollten was einpacken. Oh, und derweil laden wir mal die Geschenke ein.”

Heiligabend. Die wenigen Patienten, die auf den Stationen die Weihnachtstage verbringen mussten, hatten sich im großen Aufenthaltsraum um den Baum versammelt. Für jeden gab es ein kleines Geschenk, auch dem Jungen überreichte der Chefarzt der Station ein Geschenk. Es war sehr lang dafür schmal. Heike beobachtete die Szenerie von ihrem Stationszimmer aus, lehnte mit der Schulter gegen die Tür und war nicht wirklich in Weihnachtsstimmung.

Der Junge packte es eher lustlos und traurig aus, aber plötzlich blitzten seine Augen, als er gelesen hatte, was auf dem Zettel stand, den er aus einem kleinen, langen Kästchen geholt hatte. Die Verpackung fallen lassend rannte er mit einem Leuchten in den Augen zum Fenster.
Da hörte es auch Heike. Das Geräusch eines Helikopters. Aber lauter als üblich. Normalerweise landeten die Maschinen auf dem Dach, wo es einen direkten Zugang zur Notaufnahme gab. Dieser aber schien im Innnenhof zu landen. Die Scheiben zitterten und Schnee wurde aufgewirbelt und machte es fast unmöglich, im Innenhof etwas zu erkennen. Heike ging verblüfft zum Fenster, wo es seltsam bunt blinkte. Das war keiner der üblichen Hubschrauber.
Als sie aus dem Fenster blickte, sah sie, was den kleinen Jungen so begeisterte. Da war tatsächlich ein Notfallhubschrauber gelandet. Aber am Steuer saß nicht einer der üblichen Besatzung, sondern ein Mann in rot, mit weißem Bart und roter Mütze. Und im Cockpit blinkte und leuchtete es, als habe man es wie einen Weihnachtsbaum dekoriert.
Sie erschrak, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Es war Paul, der sie anlächelte, ihr ein kleines Geschenk überreichte und sagte: “Manchmal ist es gut, wenn man einen direkten Draht zum Weihnachtsmann hat.” Er lächelte, blickte hinüber zum Chefarzt der Station, der das Lächeln erwiderte und im zunickte.
Der Junge hatte Tränen in den Augen, als er sah, wer da aus dem Helikopter stieg. Zuerst seine Geschwister, dann seine Mutter, die irgendwie verwirrt zu den Fenstern der Station hinaufblickte, als sie aber ihr Kind mit der Nase ans Glas des großen Panoramafensters gepresst stehen sah, glücklich lächelte und ihm zuwinkte. Hinter ihnen stieg auch der Pilot aus, verkleidet wie ein Weihnachtsmann und half seiner Crew, einen ganzen Stapel von Geschenken aus dem Hubschrauber zu schaffen und in die Klinik zu tragen.
“Wie haben Sie das gemacht? Es ist verboten, Notfallfahrzeuge für etwas anderes als Notfälle zu verwenden. Und was stand auf diesem Zettel?“Heike lächelte Paul an, der zufrieden grinsend zusah, wie sich die Familie des kleinen Junge mit ihm um den Baum versammelt hatte und wie nun jeder vom Chefarzt ein großes Geschenk bekam. “Nun, es ist immer gut, wenn man mit einem Chefarzt befreundet ist und der bescheinigt, dass ein Besuch der Familie gerade an Weihnachten elementar ist für die Heilung.” Heike wusste, dass das nicht alles war, aber sparte sich Nachfragen.
“Und zur zweiten Frage: “ Paul grinste jetzt verschmitzt. “Auf dem Zettel stand, frohe Weihnachten vom Weihnachtsmann. Schau aus dem Fenster, da landet gerade dein Geschenk.”
Der kleine Junge strahlte und packte ein Geschenk aus. Doch plötzlich hielt er inne, drehte sich um und strahlte Heike und Paul an. Still formten seine Lippen: “Danke und frohe Weihnachten.”