Work Life Integration und das immerwährende Dilemma der Arbeitszeit

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Für die Gestrigen ist Leistung = Anwesenheit, für die Ehrlichen ist Bezahlung= Anwesenheit, für die Realisten ist Bezahlung=Leistung=Erzieltes Ergebnis

Es ist immer das gleiche, wenn ich meine Thesen zur Arbeitswelt der Zukunft aufstelle. Zwei Kritikpunkte tauchen immer auf. Der erste: Wenn ich den Arbeitnehmer nicht mehr kontrolliere, dann arbeitet er nicht. Der zweite: Wenn ich als Arbeitnehmer nicht mehr an feste Zeiten gebunden bin, dann nutzt mich der Arbeitgeber doch aus.

Und? Jemandem der versteckte Widerspruch in diesen beiden Kritikpunkten aufgefallen?

Da wird zum einen beklagt, es würde dann gar nicht mehr gearbeitet, wenn man die festen Arbeitszeiten zu Gunsten von Vertrauensarbeitszeit auflöst, aber dann meist im gleichen Atemzug geklagt, man würde dann ja erst recht ausgebeutet oder würde sich selbst ausbeuten, wenn es keine festen Arbeitszeiten mehr gibt.

Bevor ich darauf eingehe, ein oder zwei Prämissen, die mir wichtig sind und die immer wieder in den Diskussionen vergessen werden.

Die neue Arbeitswelt ist nur dann eine gute, wenn sie nicht den Arbeitsdruck erhöht. Denn dass dies uneffektiv ist, sehen wir alle an den steigenden Zahlen von Burn Outs und Frühverrentung wegen psychischer Probleme.

Es muss darum gehen intelligenter, nicht mehr zu arbeiten.

Was sind denn die größten Kritikpunkte derer, die sich Gedanken nicht nur um das was sondern auch um das wie gearbeitet wird machen.

Zum einen ist es die unsägliche Präsenzkultur, in der die geleistete Arbeit daran festgemacht wird, dass der Mitarbeiter auch anwesend ist. Körperlich zumindest. Zum anderen die geradezu inflationäre Zahl von Meetings, die immer mehr grassiert und die oft nur dazu führt, dass der Arbeitstag von Meetings durchzogen ist, in denen jeder sich und seine Person darstellt ohne dass hinterher wirklich etwas relevantes als Ergebnis übrig bleibt. Oder wenn, dann wird es meist in einem weiteren Meeting zerredet. (Auch auf der re:publica habe ich diverse Menschen befragt und auch in den Session genau dies als eines der großen Defizite der heutigen Arbeitswelt erfahren dürfen)

Wer in seinem Unternehmen Vertrauensarbeitszeit mit dem Ziel einführt, mehr Leistung durch mehr Anwesenheit zu erzielen, der geht damit völlig fehl, ja handelt sich vermutlich sogar ein weniger an Leistung ein.

Vielen dürfte hierzu das Parkinsonsche Gesetz bekannt sein:

 

Das Parkinsonsche Gesetz zum Bürokratiewachstum, erstmals veröffentlicht 1955. Es lautet:

“Work expands so as to fill the time available for its completion.”

Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“

 

Wie bereits gesagt, es geht darum, ziel- und ergebnisorientiert zu arbeiten. Aber nicht, in dem man jedem Mitarbeiter Ziele und Ergebnisse vorgibt, die auf Biegen und Brechen zu erreichen sind, sondern indem man dem einzelnen die Freiheit lässt, ein übergeordnetes (meist Projekt- oder Teamziel) auf die ihm oder ihr angemessenste Art zu erreichen. Wer jedes Jahr seine „Untergebenen“ anhand von Zielvorgaben beurteilt und neue Ziele für ein Jahr vorgibt, der arbeitet entweder in einer Branche, in der sich rein gar nichts wandelt. Oder er ignoriert wissentlich den immerwährenden Wandel und ist sich im Klaren darüber, dass vermutlich die meisten Ziele der Vorgaben binnen Monatsfrist Makulatur sind.

 

Nein, definitiv, wenn Vertrauensarbeitszeit, Freiheit der Arbeit von Ort und Zeit nur zum Zwecke eines Mehr an Arbeit eingeführt werden, dann bin ich strikt dagegen, weil das dem Arbeitnehmer wie dem Arbeitgeber schadet.

Die Freiheit muss eine individuelle sein, die es jedem ermöglicht, so zu arbeiten wie es für sie oder ihn am optimalsten ist. Und das kann durchaus auch das klassische 9-17 Uhr sein. Aber eben nur als eine Variante.

 

Oh, und wer mir jetzt sagt: Das geht aber nicht für alle Berufe, dem kann ich nur sagen: Ja, und? Habe ich jemals gefordert, jeder müsste nach einem ganz bestimmten Dogma arbeiten? Es geht nicht darum, eine Vorgabe durch eine andere abzulösen. Es geht darum den Menschen wieder als Menschen mit individuellen Bedürfnissen zu sehen, nicht als fix verplanbare Humanressource. Und zudem gibt es viele Branchen, die behaupteten, es ginge nicht, bis man es gemacht hat und erkannte, dass die Produktivität sogar stieg, nicht sank.