Vom Fluch der Standards

Zuforderst, damit hier keine falschen Eindrücke entstehen. Ich halte Standards für sinnvoll. Wenn man es nicht übertreibt.
Doch genau das scheint eine beliebte Tendenz zu sein, insbesondere bei Unternehmen und Themen, die eine gewisse Grösse erreicht haben. Dann wird versucht, alles in einen Standard zu pressen. Von der Art der Schreibtische bis zum Aussehen des Desktops. Von der Vorgehensweise beim Programmieren bis hin zu den Werkzeugen, die jeder benutzen darf. Das mögen gute Ansätze sein, aber wo ich jemandem einen Standard sichtbar aufzwinge, ist das meist zum scheitern verurteilt.

Standards sind immer dann gut, wenn sie die Auswahl des einzelnen nicht beeinflußen. Oder zumindest dafür sorgen, dass egal was derjenige auswählt, er es immer wieder verwenden kann. Also bei Produkten. Es ist sinnvoller Standard, eine Norm für die Stecker von Ladegeräten einzuführen oder für Papiergrössen und verschiedene Maßeinheiten.
Ganz anders ist die Sache aber gelagert, wenn sich Standards mit den persönlichen Vorlieben von Menschen überschneiden oder gar eine ganze Gruppe auslassen.
Standardarbeitsplätze mögen an sich eine gute Idee sein, würden wir alle auf die völlig gleiche Art arbeiten. Aber genau das tun wir nicht. Gerade hier gilt, was dem einen sin Ul is dem andern sin Nachtigall. Ich bin Linkshänder und bekomme bei einem projektbedingten Umzug meinen Tisch in schöner Regelmässigkeit so aufgebaut, dass er auf einen Rechtshänder ausgerichtet ist.
Ich entwickle in einem Umfeld, in dem ich als jemand, der mit Maus und GUI arbeitet, stets den Vorwurf zu hören bekomme, wie kannst du nur so arbeiten.

Für Standards gilt, wie für vieles im Leben. Nur weil es standardisiert ist, ist es nicht gut. In vielen Bereichen ist es gerade die Vielfalt, die absichert, die es ermöglicht bei Versagen eines „Standards“ auf einen anderen auszuweichen.
Gerade in der Ergonomie finde ich es bedenklich, wie häufig hier Standards festgelegt werden für Abstand zum Bildschirm, bevorzugte Farben, Schriftgrössen und ähnliches. Dabei finde ich es z.B. anstrengend, mit grossen Schriften zu arbeiten und mag es, meinen Bildschirm möglichst weit ans Tischende zu stellen. Beides kein Standard.
Deshalb stelle ich mir meine Umgebung häufiger neu ein, wenn mal wieder der „Standard“ meine Konfiguration plattgebügelt hat.
Ich würde stets empfehlen, bevor wir uns auf einen Standard festlegen, erst zu hinterfragen, ob der Standard die Situation wirklich verbessert. Und diese Frage MUSS man sich in regelmässigen und nicht zu langen Abständen wieder stellen. Der Standard von heute kann das Hindernis von morgen sein.

Standards machen in einer eher statischen, nicht innovativen Umgebung Sinn. Wo aber Innovation gefordert wird, kann der Zwang zum Standard, sei es die Programmiersprache, das Werkzeug oder der Prozess sehr schnell zum grossen Hindernis werden und gegebenenfalls mehr Geld kosten, als die Einhaltung des Standards an Ersparnissen bringt.